EHWS Andalusien, Etappe 6: Jimena de la Frontera - Cerro del Gavilán
Erneut ein strahlend schöner Morgen. Durch das Fenster meines Zimmers blickte ich in eine weite Landschaft mit einem langgezogenen Gebirgspanorama im Morgenglanz hinaus. Bessere Voraussetzungen für das heutige Vorhaben konnte ich mir nicht wünschen! Ich war etwas aufgeregt, weil ich mir nur vage vorstellen konnte, was die Wanderung von mir fordern würde. Ich wusste nur, dass die Route weitab von Dörfern und Verkehrswegen über bis zu 800 à 900 Meter hohe Gebirgszüge führte und erst nach fast 40 km wieder eine Ortschaft – Ubrique – erreichte. Der Cicerone-Führer gab die Wanderdauer bis dorthin mit 10 Stunden an, und schlug drei Optionen vor. Erstens: durchmarschieren bis Ubrique; zweitens: versuchen, es wenigstens bis zur nächsten Strasse zu schaffen, der A-373, und von dort ein Taxi rufen; drittens: unterwegs wild zelten. Die erste Option schätzte ich als kaum realistisch, die zweite als möglich und die dritte als wahrscheinlich ein. Dies war denn auch der Hauptgrund dafür, dass ich überhaupt ein Zelt mitführte.
Schweisstreibender Aufstieg
Vorsorglich stieg ich ins Städtchen hinunter, um mich mit mehr Wasser und Proviant als üblich einzudecken. Dies trug dazu bei, dass ich erst nach halb zehn aufbrach. Über einen kleinen Sattel am oberen Ortsrand ging es an einem Campingplatz vorbei zur Flanke des Berghangs. Bei einer GR7-Informationstafel begann der steile Aufstieg. Der südwärts geneigte Hang war baum- und strauchbestanden, aber weitgehend offen für Sicht und Sonne. Schnell gewann ich Höhe, schnell verlor ich Salz und Flüssigkeit. Der Weg war nicht immer als solcher erkennbar, aber solange ich mich an die Empfehlung des Cicerone-Führers hielt und einfach der Trockenmauer folgte, die sich schnurgerade den Berg hinauf zog, schien es gut zu gehen.
Auf Abwegen
Dann aber geriet ich auf Abwege. Und zwar als Folge von zwei Fehlinterpretationen: Zunächst identifizierte ich eine Verzweigung ohne Markierung fälschlicherweise als die Stelle, die im Cicerone als „unmarkierte Gabelung“ bezeichnet war, und folgte der entsprechenden Anweisung. Zwar kamen mir schon bald Zweifel, und ich kehrte um – doch da beging ich den zweiten Fehler: Ich sah weiter unten zwei schon früher bemerkte Wanderinnen in meine Richtung kommen – und schloss daraus, dass drei Menschen nicht irren konnten. Also machte ich wieder Kehrt und folgte dem Weg weiter bis zu einem Bauernhof. Dort endete er, und der Bauer klärte mich auf: Ich war komplett in die falsche Richtung gegangen. Als ich auf dem Rückweg den beiden Wanderinnen begegnete, fanden wir heraus, dass wir uns gegenseitig in unserem Irrtum bestätigt hatten: Auch sie hatten aus meinem Vorhandensein gefolgert, auf dem richtigen Weg zu sein…
Jimena de la Frontera - Cerro del Gavilán |
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Etappe | EHWS Andalusien, Nr. 6 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Dauer | 17,3 km / 6h |
Auf- / Abwärts | 816 m / 195 m |
Höchster Punkt | 751 m (Pass bei Gavilán) |
Tiefster Punkt | 110 m (Jimena de la F., Camping) |
Fernwanderwege | E4 (GR7) |
Durchgeführt | Donnerstag, 17. Oktober 2016 |
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Allerdings waren sie keine Fernwanderinnen, sondern Tagesausflüglerinnen, die eine Rundwanderung machen und wieder nach Jimena hinabsteigen wollten. Für sie blieb die Verirrung somit ohne grössere Folgen. Nicht so für mich: Als ich den zuletzt passierten Wegweiser wiederfand, war es bereits nach 13 Uhr, die Wanderzeit bis Ubrique jedoch immer noch satte 9 Stunden. Zwei Stunden und viel Flüssigkeit hatte ich verloren und entsprechend viel Wasser verbraucht. Meine Optionen hatten sich realistischerweise auf eine einzige reduziert – sofern ich denn nicht zurückkehren wollte – : Zelten!
Eine Dachwanderung
Als ich die richtige Fortsetzung des GR7 fand, ging es noch etwa eine halbe Stunde lang weiter aufwärts, bis auf eine Schulter mit bizarren Felsformationen und atemberaubender Aussicht. Tief unten im Dunst lag nun Jimena – und weit entfernt war Gibraltar, kaum noch erkennbar! Dann entfernte sich der Wanderweg vom Südhang und setzte sich mehr oder weniger auf gleicher Höhe Richtung Norden fort. Jimena geriet ausser Sicht und ich zusehends in den Bann der einsamen, kargen und felsigen Mittelgebirgslandschaft, über die ich nun unter einem unendlich scheinenden Himmel ging: Ich befand mich gewissermassen auf den Dächern des Gebirges.
Rund um reihte sich Bergrücken an Bergrücken, und durch die grüne Pflanzendecke trat immer wieder nackter, in der Sonne heller Fels hervor, sei es in Form von Blöcken, Rippen oder Flühen. So ging es mehrere Stunden lang in wechselndem Auf und Ab durch namenlose Landschaft. Kaum je hätte ich sagen können, wo ich mich gerade befand. Nirgends ein Schild oder sonst eine Anzeige, die eine Stelle mit einem Namen bezeichnet hätte, der sich auf der Karte finden liess! Auf einer der höchsten Kuppen befand sich ein Häuschen, aber ohne Hinweis auf Zweck oder Ort. Ich vermute, dass es sich um El Panerón handelte.
Zelten auf einem Pass
Gegen 18 Uhr, gerade als Erschöpfung über mich zu kommen begann, gelangte ich über einen grasbewachsenen Abhang zu einer Art Pass hinauf, über den ein Weidezaun mit einem Tor gespannt war. Dahinter ging es wieder hinunter. Die Stelle direkt hinter dem Tor war offen, aber links und rechts von ansteigendem Wald gesäumt, und einigermassen eben – geradezu perfekt für das Aufstellen eines Zelts, fand ich. Orten konnte ich auch diese Stelle nicht genau. Ich schätzte, dass es bis Ubrique noch etwas mehr als 6 Stunden war. Heute bin ich mir aufgrund von späteren Recherchen ziemlich sicher, dass es sich um einen Punkt handelte, der auf der Karte mit 751 Höhenmetern bezeichnet ist und ein wenig nordöstlich einer Kuppe mit dem Namen Cerro del Gavilán liegt.
Überlebensübung im Mondschein
Das Wetter war absolut ruhig, die Temperatur noch immer warm und das Zelt rasch aufgestellt. Es war ausschliesslich inneren Umständen zuzuschreiben, dass die Nacht zu einer Art Überlebensübung wurde: Beim Versuch etwas zu essen, musste ich erkennen, dass ich nicht nur erschöpft, sondern auch komplett ausgetrocknet war. Ich konnte keinen Bissen hinunterschlucken. Um den dafür notwendigen Speichel zu produzieren, hätte ich den Wasservorrat weitgehend aufbrauchen müssen. Dies jedoch durfte ich mit Blick auf die am Morgen bevorstehende restliche Wanderung auf keinen Fall tun! An Essen war somit überhaupt nicht zu denken, und ans Trinken nur in kleinsten Schlucken und grossen Intervallen. Das war die Quittung für das Herumirren am Mittag: Ich war dadurch weniger weit gekommen als geplant, hatte deswegen aber nicht weniger Wasser verbraucht!
Dass ich diesen Abend im Zelt nicht so schnell vergessen werde, liegt aber nicht nur an den Entbehrungen. Einmalig waren auch die Einsamkeit und Stille des Ortes in dieser kargen Natur. Es wehte kaum ein Lüftchen. Weit und breit keine Menschenseele – seit dem Bauern und den beiden Touristinnen war ich niemandem mehr begegnet. Ab und zu hörte ich in der Ferne ein Glöckchen oder das Blöken eines Schafes – sonst nichts. Nirgends auch war künstliches Licht zu sehen, nicht einmal der Widerschein einer Lichtglocke. Doch ein Licht gab es – und in dieses tauchte in dieser Nacht die ganze Landschaft ein. Es war der Vollmond. Es war magisch.
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