EHWS Andalusien, Etappe 7: Cerro del Gavilán - Peñon del Berrueco (Westfuss)
Sobald das dämmernde Morgenlicht hell genug war, das war gegen sieben Uhr, begann ich zusammenzupacken. Geschlafen hatte ich nicht viel, aber doch mehr, als ich angesichts von Durst und Überlebenssorgen erwartete hatte. Es war die ganze Nacht hindurch ruhig geblieben, ich hatte weder nächtlichen Tierbesuch noch war es mir jemals kalt, und das Zelt konnte ich absolut trocken einpacken: Es gab nicht einen Tropfen Morgentau. Gegen halb neun war alles wieder im Rucksack und ich abmarschbereit. Die Frage war, wie weit ich es heute ohne Nahrung, unausgeschlafen und mit knappen Wasserreserven – ich hatte noch etwas mehr als dreiviertel Liter – wohl schaffen würde: Bis nach Ubrique hinunter oder nur bis zur Strasse A-373?
Nach wenigen Minuten durch lichten Wald abwärts passierte ich einen Wegweiser, der die Distanz nach Ubrique mit 6 Stunden angab – bis zur Strasse musste es somit noch etwa drei Stunden sein. Auf Forststrassen ging es ebenerdig oder in leichtem Auf und Ab weiter, meist etwas unterhalb eines bewaldeten Bergkamms. Zunächst war dies auf dessen Westseite, sodass er mich noch für eine Weile schützte, als gegen neun Uhr die Sonne halbrechts hinter mir aufging. Zur Linken blickte ich über weitere, gleich hohe, bereits beschienene Kämme, und konnte beim Gehen mitverfolgen, wie das Sonnenlicht langsam an ihren Flanken abwärts kletterte und die Dunkelheit immer weiter in die Tiefe der Täler zurückdrängte. Vor mir traten allmählich am Horizont höhere, kahle Berge hervor, an deren Fuss weisse Punkte sichtbar wurden: vielleicht Häuser, die zu Ubrique gehörten.
Herannahen der Zivilisation
In den ersten zwei Stunden kam ich recht gut voran, auch wenn ich mehr Pausen als sonst benötigte. Dann begann sich mit zunehmender Hitze die Endlichkeit meiner nachts nur mässig regenerierten Kräfte bemerkbar zu machen. Jede noch so sanfte Steigung wurde zusehends zu einer Qual. Ich war froh, als ich gegen Mittag erstmals einen Blick auf den Karstkegel erhaschte, den ich aufgrund von Bildern als den Berrueco del Peñón identifizierte und an dessen Fuss die Strasse A-373 vorbeiführen musste, und der Weg sich deutlich abwärts zu neigen begann.Während einer der immer häufiger werdenden Rasthalte im Schatten einer Korkeiche dann die ersten Zeichen menschlichen Lebens: eine Gruppe entgegenkommender Reiterinnen, von denen einige sich auf Deutsch unterhielten.
Cerro del Gavilán - Peñon del Berrueco (Westfuss) | |
Etappe | EHWS Andalusien, Nr. 7 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Dauer | 14 km / 4h |
Auf- / Abwärts | 248 m / 269 m |
Höchster Punkt | 851 m (Loma del Castillo) |
Tiefster Punkt | 727 m (Strasse A373, km 43,3) |
Fernwanderwege | E4 (GR7) |
Durchgeführt | Dienstag, 18. Oktober 2016 |
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Ein Gesprächsfetzen, den ich bei ihrem Vorübertrotten auffing, handelte von einem müden Wandersmann, den man eventuell ja mitnehmen könne. Es klang etwas belustigt…
Wenig später bestätigte ein mit Kork beladenes, talwärts fahrendes Geländefahrzeug das allmähliche Herannahen der Zivilisation.
Um halb zwei – fünf Stunden nach dem Aufbruch – erreichte ich schliesslich die Strasse am Fuss des Berrueco del Peñón. Entkräftet liess ich mich neben dem Parkplatz auf der Wurzel einer mächtigen Korkeiche nieder. Ich sah, dass der Wasservorrat zur Neige ging, bis Ubrique würde er wohl nicht mehr reichen. Also war klar, dass ich ein Taxi rufen musste. Nur: Das Smartphone fand kein Netz…
Anhalter als Rettung
Ich raffte mich auf und setzte mich auf der Strasse Richtung Ubrique in Bewegung. Gemäss Cicerone-Führer sollte es nach etwa 2 Kilometern eine Bar geben. Dort, so überlegte ich, würde ich entweder ein Taxi rufen oder mich mit Speis und Trank sogar ausreichend für das letzte Wanderstück regenerieren können. Doch was, wenn die Bar nicht mehr in Betrieb oder ausgerechnet heute geschlossen war? – Ich beschloss, es nicht darauf ankommen zu lassen, sondern es auch per Anhalter zu versuchen – auch wenn hier nur sporadisch ein Auto vorbeikam. Zu meiner Überraschung hielt bereits das erste Auto an, nur etwa hundert Meter nach der Eiche. Es war ein junges Paar mit einem kleinen Auto und etlichen Sachen auf der Rückbank, die aber ohne Federlesens zur Seite geräumt wurden, damit ich mit meinem Riesenrucksack Platz darauf fand. Als ich mich bedankte und mein Anhaltertum mit Erschöpfung und Wasserknappheit rechtfertigte, reichte mir die Frau vom Beifahrersitz aus sofort eine Wasserflasche nach hinten… Ich kann kaum sagen, wie dankbar ich den beiden jungen Leuten war.
Ende der Askese
An der Bar vorbei – sie hatte übrigens offen – ging es in zahlreichen Kurven in einen weiten Kessel hinunter, der von hohen felsigen Bergen umgeben war und auf dessen Boden sich die weisse Stadt Ubrique an den gegenüberliegenden Hang wölbte. Am Südrand der Stadt setzte das Paar mich ab. Nach etwa zwei Kilometern Richtung Ortsmitte fand ich eine Bar mit beschatteter Terrasse. Hier füllte ich mich erst mal mit anderthalb Liter gekühltem Wasser und Nestea ab.
Es war etwas nach drei Uhr nachmittags, als ich im Zentrum im Hotel Ocurris ein Zimmer bezog. Nach einer Dusche war ich soweit wiederhergestellt, dass ich mich zur Erkundung des Ortes aufmachte. Mit einem Pulposalat in der Flanierstrasse Avenida de España, der ersten Nahrungsaufnahme seit etwa 28 Stunden, beendete ich meine ungeplante Askese.
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