EHWS Jura, Etappe 4: La Caquerelle - Montfaucon
Erneut ein strahlender Sommermorgen, wenn auch etwas dunstiger als am Vortag. Nach einer Aufwärm- und einer Aufstiegsetappe freuten wir uns heute auf eine Höhenwanderung – sozusagen als krönenden Abschluss unserer Dreitagetour. Auf dem Programm stand der mir von früher bekannte Übergang vom Sattel von La Caquerelle in die Freiberge – immer in Höhenlagen zwischen 800 und rund 1‘000 Metern, somit höher oder etwa gleich hoch wie die umliegende Jura-Landschaft, die sich deshalb gut überblicken liess. Ein Spaziergang wars trotzdem nicht: Mit rund 20 Kilometern war es die längste der drei Tagesetappen, und in der Summe waren sogar mehr Höhenmeter zu überwinden als beim Aufstieg des Vortages – allerdings auf mehr und dafür weniger steile Stücke verteilt.
Eine «Corniche» für Wanderer
Vom Hotel aus zogen wir auf der Strasse Richtung Süden. Bald verzweigt sie sich: Ein Zweig führt ins Delsberger Becken hinunter, der andere als Höhenstrasse in die Freiberge. Letztere ist wegen ihrer Hanglage als „Corniche du Jura“ bekannt. An derselben Stelle zweigt auch der Wanderweg rechts ab; sanft ansteigend taucht er hinter einem Golfplatz in den Wald ein. Es ist der Beginn der Saint-Brais-Mont-Russellin-Kette. Ihr – und mit ihr der unsichtbaren Wasserscheide – folgt die Wanderroute fast auf der ganzen Strecke bis nach Montfaucon, unserm Tagesziel: meistens auf dem Grat oder am Südhang, manchmal aber auch am Nordhang. Man könnte sie – bis vor einigen Jahren war sie Teil des als „Jurahöhenweg“ bekannten Fernwanderwegs – auch die „Corniche“ für Wanderer nennen.
Ausserhalb der Waldpartien bietet sie als Aussicht „Jura total“: Von der Nordflanke blickt man über das Doubs-Tal zum Clos du Doubs mit seinen Dörfern und zu den Höhen der Lomont-Mont-Terri-Kette hinüber; die Vogesen hingegen lassen sich im heute dunstigen Hintergrund höchstens erahnen. Zu den andern Seiten hin ist erst Recht nichts anderes zu sehen als Juratäler und –ketten. Drei Türme am Horizont bieten Orientierung: Hinter uns der gestern passierte Sendeturm von Les Ordons, im Süden jenseits des Delsberger Beckens der Aussichtsturm des Moron, und vor uns im Südwesten der Sendeturm des Chasseral. Während die beiden erstgenannten im Lauf des Tages aus unserem Blickfeld entschwinden, kommt uns der Chasseral-Turm langsam näher, wobei er von Südwest nach Süd wandert.
La Caquerelle - Montfaucon | |
Etappe | EHWS Jura, Nr. 4 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Zeit | 21 km / 5h50 |
Auf- / Abwärts | 497 m / 328 m |
Höchster Punkt | 1'050 m (Le Plain) |
Tiefster Punkt | 781 m (Le Bosnire) |
Fernwanderwege | --- |
Durchgeführt | Samstag, 27. Mai 2017 |
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Unterwegs erleben wir so ziemlich alles, was den Jura ausmacht: Wir gehen über Graspfade abschüssigen Wiesenhängen entlang. Wir überqueren mit Felsrippen durchsetzte, sanft gewellte Weiden mit einzeln stehenden Fichten oder Fichtengruppen. Wir übersteigen Trockenmauern und ruhen uns auf ihnen aus. Wir schauen über Blumenwiesen und bestaunen schroffe, helle Kalkfelsen. Wir passieren abgelegene Einzelhöfe und lagern im Gras, weidende Pferde mit ihren Fohlen betrachtend.
Zwischen tiefe Täler eingezwängt
Zu Beginn umgehen wir den Mont Russelin auf der Nordseite knapp unterhalb der Kuppe, dann steigen wir auf der Südseite in mehreren Stufen nach Le Bosnire hinab, wo sich die beiden Corniches für einige hundert Meter berühren. Es ist mit rund 780 Metern der niedrigste Punkt der Wanderung und zugleich die schmalste Stelle der Bergkette. Diese wird hier eng zwischen zwei tiefe Taleinschnitte hinein gezwängt: rechts der Graben des Doubs, links die Tabeillon-Schlucht. Beide Gewässer ziehen nordostwärts – aber mit dem Unterschied, dass der Tabeillon sein Wasser via Sorne, Birs und Rhein konsequent Richtung Nordsee schickt, während der Doubs es sich nach mehreren Schlaufen anders überlegen und eine Kehrtwende Richtung Mittelmeer vollziehen wird. Ihn können wir an einigen wenigen Stellen durch das Geäst des Waldes hindurch in der Tiefe erkennen; der Tabeillon hingegen entzieht sich in seiner viel engeren Schlucht jeglicher Einblicke.
Auf einem Fusspfad steigen wir wieder aufwärts; die Fahrzeug-Corniche lassen wir unten am Hang zurück. Bis nach Saint-Brais, einem zwischen zwei Felskuppen auf dem Rücken der Kette hingebetteten Dorf, halten wir uns weitgehend an den Grat. Dann wartet der einzige richtig steile, aber sehr kurze Aufstieg: Über eine Treppe überwinden wir die direkt hinter Saint-Brais aufragende Felsfluh. Auf der Kante thront ein Kappellchen, von dem aus man ein letztes Mal Richtung Delsberger Becken sehen kann. Gleich danach passieren wir die schon von weitem gesichteten zwei Windturbinen. Es ist mit ca. 1‘050 Metern der höchste Punkt des Tages.
Dann verändert sich die Landschaft, wir sind auf einem sanft gewellten Plateau mit Weiden und Wäldern, einzelnen Höfen und nur wenigen Dörfern; wo bisher zu unserer Linken die Schlucht des Tabeillon war, ist höchstens noch eine Mulde. Wir sind in den Freibergen! Die Bergkette, auf der wir bisher gegangen sind, setzt sich hier nur noch in der Form einer Rippe fort, die sich geringfügig über das Plateau zu unserer Linken erhebt. Was bleibt, ist der tiefe Doubs-Graben zu unserer Rechten.
«Willkommen in der Hölle!»
Der Nachmittag ist schon weit fortgeschritten, als wir auf eine zwischen Rippe und Abgrund ruhende, langgezogene Hochfläche gelangen. Über uns bilden sich immer mehr Wolken, aber nur selten wollen sie sich schützend vor die Sonne schieben. Vor uns liegt eine unendlich scheinende Gerade; der Weg ist asphaltiert und reflektiert die Hitze zusätzlich. Am Horizont winkt ein Kirchturm vom Kamm der grasgrünen Rippe, wir hoffen, dass es jener von Montfaucon ist. Schwitzend und müde schleppen wir uns vorwärts. Mit hängenden Zungen erreichen wir endlich ein Dorf. „Les Enfers“ heisst es auf der Ortstafel. Kaum haben wir das gelesen, als uns auch schon ein Bauer mit einem schalkhaften „Bienvenue aux Enfers!“ – also etwa: „Willkommen in der Unterwelt!“, oder auch „in der Hölle!“ – begrüsst. Sogleich habe ich einen Song von AC/DC in den Ohren. Aber wir wollen weiter, die Hölle ist nicht unser Ziel. Unser Höhenweg ist ein „Highway to the Free Mountains“!
Gern lassen wir es uns gefallen, dass der Himmel sich ausgerechnet dann verdüstert, während wir aus der Unterwelt zur Kirche hinaufkraxeln. Wie ein Adlerhorst hockt sie auf dem Kamm und überblickt das Plateau der Freiberge zu beiden Seiten – der Name des Ortes (übersetzt heisst er „Falkenberg“) scheint uns passend. Dann sind wir oben, und unsere Wanderung ist zu Ende. Spontan beschliessen wir, im Hotel du Lion d’or, gleich neben der Kirche, ein Zimmer zu nehmen. Uns scheint: Einen Sommerabend in den Free Mountains haben wir uns verdient.
Die Heimreise traten wir am nächsten Morgen an. In einer Viertelstunde erreichten wir das Bahnhöflein der Chemin de Fer du Jura in der Mulde von Pré-Petitjean. Dort bestiegen wir den Zug – und dort hoffe ich irgendwann die Wasserscheiden-Wanderung durch die Freiberge fortzusetzen.
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