EHWS Alpin, Etappe 13: Isenau (Diablerets) - La Palette - Col du Pillon
Heute sollte es also der letzte Sommertag sein, es war eine Kaltfront im Anzug. Bereits am Nachmittag sei mit leichtem Regen zu rechnen, hiess es. Ein im Vergleich zu den Vortagen wolkigerer Himmel schien diesen schon am Morgen anzukündigen. Da ich eine vergleichsweise kurze Etappe vor mir hatte, beunruhigte mich das nicht. Es gab ja, wie ich gestern Abend beschlossen hatte, nur noch einen einzigen Berg zu bewältigen (nämlich La Palette), dann war meine Voralpen-Tour zu Ende.
Warnung vor dem Abstieg
Mit dem Auto fuhr ich von Les Diablerets wieder in die Höhe, allerdings später als gestern und diesmal nur bis zum Col du Pillon, der heute mein Wanderziel sein sollte. Ich parkierte auf dem riesigen Parkplatz neben der Seilbahn «Glacier 3000» und wartete auf den «Diablobus» nach Isenau. Ausser mir gab es nur eine Handvoll Passagiere in dem Kleinbus, aber beim Einsteigen wurde ich sogleich erfreut begrüsst. Ein älteres Rentnerpaar winkte mir und gab mir aufgeregt zu verstehen, dass man mich kenne. «Sie waren doch gestern auf dem Para, wir haben Sie gesehen!» rief mir die Frau zu. Ich erinnerte mich: Beim Abstieg vom Gipfel waren sie mir, etwa auf der Höhe der Lawinenverbauungen, entgegen gekommen und hatten mich gefragt, ob sich der Aufstieg lohne. «Und, hat es sich gelohnt?», fragte ich nun also zurück. Oh ja, gewiss, wunderbar sei es gewesen! Was ich denn heute vorhabe, wollten sie wissen. Als ich La Palette nannte, machten sie sogleich bekümmerte Gesichter: Da seien sie auch gewesen, und schön sei der Berg ja auch, aber ich solle dann unbedingt auf dem gleichen Weg über den Col des Andérets zurückgehen, denn der direkte Abstieg nach Isenau sei furchtbar steil. Drei Tage lang hätten sie nachher fast nicht mehr gehen können!
Ich dankte für den Rat und verabschiedete mich bei der Bergstation der ehemaligen Gondelbahn von ihnen. Selber wollten sie heute von hier zum Flüsschen Dar hinunter und auf der Diablerets-Seite zu dessen hohen Wasserfall hinauf, der von weither zu sehen war.
Isenau (Diablerets) - La Palette - Col du Pillon |
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Etappe | EHWS Alpin, Nr. 13 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Zeit | 7,3 km / 2h42' |
Auf- / Abwärts | 408 m / 692 m |
Höchster Punkt | 2'170 m (La Palette) |
Tiefster Punkt | 1'543 m (Col du Pillon) |
Fernwanderwege | --- |
Durchgeführt | Mittwoch, 30. August 2017 |
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Der Weg zum 2034 Meter hohen Col des Andérets war mir vom Vortag bekannt, ich benötigte dafür weniger als eine Stunde. Herrlich luftig wars heute hier oben!
Ein paar Schritte ging ich auf dem Fahrweg über die Passhöhe hinaus, da erblickte ich unter mir den bereits auf Berner Kantonsgebiet liegenden Arnensee: schön, wie harmonisch dieser Stausee sich in die Voralpenlandschaft hineinbettete! Noch einmal suchte ich den Hang der Floriette, des Berges an der Nordseite des Passes, nach Spuren eines Weges ab. Aber auch jetzt fand ich weder einen Wegweiser noch einen Weg, und obwohl der Grashang zumindest bis zum sichtbaren Ende eines Skiliftes hinauf alles andere als unbegehbar schien, auch keinen Drang in mir, dort hinauf und wieder hinunter zu steigen.
Leicht dramatische Stimmung
Somit wandte ich der Floriette endgültig den Rücken und mich der Palette zu. An deren Hang gab es nicht nur einen Weg, sondern er war auch viel weniger steil. Saftige Wiesen mussten das hier sein, denn eine grössere Mutterkuhherde graste auf ihnen. Ich wich ihr vorsichtshalber aus und umging sie in einem weiten Bogen quer durchs Gras – was zum Glück in diesem Gelände problemlos möglich war. Nach einer halben Stunde stand ich auch schon auf dem 2170 Meter hohen Gipfel und schaute frontal zu den Felswänden des Diablerets-Massivs hinüber. Gewaltig wirkten sie aus dieser Nähe – und auch etwas bedrohlich, da sie von der Sonne noch nicht erreicht und zusätzlich durch Wolken beschattet wurden. Böige Windstösse verstärkten die leicht dramatische Stimmung. Vor mir fiel der Berg durchaus atemberaubend zum Lac Retaud und weiter zum Col du Pillon hinab: Ich konnte die Seilbahnstation und daneben den Parkplatz erkennen, auf dem mein Auto stand. Mit dem Fernglas konnte ich auch den Zickzack-Weg ausfindig machen, der von dort entlang der Seilbahn Richtung Diablerets-Hütte empor kletterte, sich gegen oben aber in den Felsen verlor.
Die Diablerets-Wand begrenzte meine Sicht nach Süden, ansonsten konnte ich aber noch einmal eine weite Rundsicht geniessen: zu den Berner Alpen und Voralpen zur einen und den Waadtländer Voralpen zur andern Seite. Fast die ganze Strecke, die ich hier in diesem Jahr gegangen war, liess sich zurückverfolgen: Von der Berneuse über die Tour de Famelon ganz im Westen, die Pic-Chaussy-Kette bis zum Para im Nordwesten, den Hang am Cape au Moine mit der grossen Schafherde – sie befand sich jetzt ganz oben am Kamm, ich konnte sie durchs Fernglas sehen – über La Chaux zum Col d’Isenau im Norden.
Essen mit Guillotine
Nach Isenau ging es tatsächlich sehr steil hinunter, wie das Rentnerpaar es gesagt hatte. Bei Nässe wäre ich seinem Rat vielleicht gefolgt, jetzt jedoch nicht: Das Steilstück schien mir nicht schwieriger als früher bewältigte Abstiege. In Wirklichkeit erwies es sich zwar als eine unangenehme Passage, die Muskeln und Knöchel forderte, aber sie war nicht allzu lang. Nach einer knappen halben Stunde erreichte ich die Bergstation eines Skilifts, und das schwierigste Stück lag auch schon hinter mir. Weiter ging es über Grasweiden zur Buvette von Marnèche hinunter. Jetzt – es war mittlerweile das vierte Mal, dass ich an ihr vorbeikam – kehrte ich ein, es war Mittagszeit. Ich bestellte eine «Planche du condamné» (zu deutsch etwa «Brett des Verurteilten»); der Name hatte mich neugierig gemacht: Das Gericht erwies sich als Räucherwurst auf einem Brett samt aufmontierter Tisch-Guillotine, mit der man die Wurst in Rädchen schneiden konnte. Wirklich appetitanregend, wie man hier alte Sitten in Ehren hielt…!
Den Hochalpen zu Füssen
Bis zum Lac Retaud benutzte ich anschliessend zunächst den gleichen Weg wie gestern. Die Bewölkung hatte inzwischen weiter zugenommen. Von der Wand gegenüber war zuweilen das Rauschen der Wasserfälle des Dar und seiner Nebenbäche zu hören. Etwas oberhalb des Sees wählte ich einen Weg, der diesen bergseitig umrundete. So gelangte ich direkt auf einen natürlichen Damm am Südufer, der die von der Wand der Palette hinab fallende EHWS-Linie übernahm.
Von hier führte ein Weg nahezu geradewegs und mehr oder weniger parallel zur EHWS zum Col du Pillon hinunter; nach zwanzig Minuten war ich unten. Auch die Talstation der Seilbahn stand nahezu exakt auf der EHWS – genauso wie die Drahtseile der Bahn bis zum Tête des Chamois hinauf praktisch exakt über der kerzengerade in die Höhe entschwindenden Wasserscheide gespannt waren. Wie genau meine Wanderung ihr weiter in die Hochalpen hinein folgen sollte, war eine Frage, die ich nächstes Jahr zu beantworten gedachte. Jetzt setzte ich mich ins Auto und fuhr durchs Chablais zum Genfersee und nach Hause zurück, unterwegs erste Regentropfen von der Scheibe wischend.
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