EHWS Andalusien, Etappe 27: Lanjarón - Soportújar
Ein Wetterumschwung war angekündigt; ungewiss war jedoch, wie er sich lokal vollziehen würde. Beim Aufbruch war es düster, aber trocken. Nach einigen hundert Höhenmetern Aufstieg begann es wie aus Kübeln zu giessen, das geplante Tagesziel entschwand ins Illusorische. Mit dem Wandel des Wetters änderten sich im Tagesverlauf mehrfach die Optionen. Sie begannen mit Abbruch und Rückkehr und endeten mit dem hoch am Hang klebenden Bergdorf Soportújar. Beim Eintreffen leuchtete es in der Abendsonne.
Meine Vorfreude auf die Alpujarras wurde am Morgen beim Blick aus dem Hotelzimmer gedämpft: Der blaue Himmel von gestern war verschwunden, über den Dächern von Lanjarón hing ein schweres graues Wolkendickicht. Es sah aus, als könnte der Regen jeden Moment einsetzen, und meine App kündigte für die Mittagszeit Gewitter an. Ich hatte im Bergdorf Pampaneira ein Zimmer reserviert; in einer siebenstündigen Wanderung über Stock und Stein wollte ich es erreichen – das war der Plan. Unter den gegebenen Umständen betrachtete ich diesen freilich bloss noch als eine Option. Alternativen boten sich an: Die Routen streifte unterwegs zwei weitere Dörfer (Cáñar und Soportújar), in denen es zwar keine Hotels geben mochte, von denen ich jedoch notfalls per Taxi nach Lanjarón zurück oder in einen andern Ort mit Übernachtungsmöglichkeiten glaubte gelangen zu können.
Durch das langgezogene und noch sonntäglich ruhige Städtchen schritt ich dem felsigen Hang des in Wolken gehüllten Cerro Mimbre entgegen. An dessen Fuss überquerte ich den Río Lanjarón, der hier in einer tief eingeschnittenen Furche aus dem Gebirge herunter kommt. Den etwa 250 Meter nach der Brücke von der Strasse abzweigenden GR7 fand ich erst nach einigem Hin und Her; seine Markierungen fielen mit jenen des regionalen Fernwanderwegs GR142 zusammen, die nach Órgiva wiesen. Auf Beton und später Pflastersteinen stieg er sofort bergan. Just als ich erstmals auf einen Fusspfad gelangte, begann es zu regnen. Ich stieg weiter und gewann rasch an Höhe, der Regen gleichzeitig an Intensität.
Lanjarón - Soportújar |
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Etappe | EHWS Andalusien, Nr. 27 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Zeit | 15,4 km / 5h36' |
Auf- / Abwärts | 658 m / 375 m |
Höchster Punkt | 1'129 m (Prado Parrales) |
Tiefster Punkt | 638 m (Brücke Río Lanjarón) |
Fernwanderwege | E4 (GR7) |
Durchgeführt | Sonntag, 14. Oktober 2018 |
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Die Wolken engten die Sicht immer mehr ein, die herabfliessenden Rinnsale schwollen an und wurden dunkler, bald war auch schon Donner zu hören. Irgendwann wurde es mir auf dem steinigen Bergpfad zu gefährlich, denn das Wasser kam mir genau dort entgegen, wo die Füsse Halt suchten. Als ich auf einen Fahrweg kam, wich ich deshalb auf diesen aus, obwohl ich keine GR7-Zeichen mehr sah. Bald wurde der Regen jedoch so kräftig, dass ich Schutz suchen musste. Ich fand ihn in der Nähe einer Hochspannungsleitung – es muss knapp unterhalb des Gipfels des Cerro Mimbre gewesen sein – auf der Türschwelle unter dem schmalen Vordach eines gegenwärtig nicht benutzten Hauses.
Zurückkehren? Weitergehen? Wohin?
Mindestens eine halbe Stunde lang verharrte ich so, den Rücken eng an die Türe gelehnt und dem Donner und dem niederprasselnden Regen lauschend. Als er endlich etwas nachliess, war es bereits nach halb eins – zu spät, wie mir schien, um mein Tagesziel heute noch zu erreichen. Die Option „Pampaneira“ wich der Option „Rückkehr“. Eine Weile noch suchte ich nach alternativen Abstiegsmöglichkeiten, aber ein mir mit Schirm und Hunden entgegenkommender Bauer antwortete auf meine entsprechende Frage abwinkend. Es blieb nichts anderes übrig, als mich auf dem glitschig gewordenen Bergpfad von soeben vorsichtig abwärts zu tasten. Bis ich auf einem der beim Aufstieg gequerten Betonsträsschen unerwartet auf eine rotweisse GR7- und GR142-Markierung stiess, die ich vorhin verpasst haben musste und die in der Richtung des Strässchens nach Süden wies. Dieses schlug ich ein, mit der Absicht, die nächstbeste Abzweigung ins Tal zu nehmen.
Als ich nach einigen Minuten an eine solche kam – eine T-Kreuzung, an der man zwischen einem tal- und einem bergwärts führenden Weg wählen musste – , hatte sich die Wolkensuppe aber soweit gelichtet, dass einzelne Fragmente der Gebirgslandschaft sichtbar wurden und für mich auch Weitergehen wieder eine Option wurde. Der Regen war nur noch schwach, und der Donner brummte von weiter weg. Kurz: Ich kehrte Lanjarón den Rücken und folgte dem Fernwanderweg bergaufwärts nach Osten mit der Idee, Órgiva anzusteuern. Der Gedanke an den langen Abstieg in die Tiefe des Guadalfeo-Talbodens, der mich weit von meiner Route abbringen würde, begeisterte mich zwar nicht sonderlich, aber er fühlte sich besser an als jener an Rückkehr. Doch dann kam ich auf der Schulter des Berges zu der Abzweigung des GR142, und meine wiedererwachte Wanderlust wollte bereits nichts mehr davon wissen: „Cáñar“ konnte ja auch nicht mehr allzu weit sein! So liess ich den GR142 und die Option „Órgiva“ rechts liegen und schritt weiter nach Osten.
Versteckspiel mit der Landschaft
Unterdessen veranstalteten die Wolken ein lustiges Versteckspiel mit der Landschaft, indem sie immer wieder andere Ausschnitte ent- und dann wieder verhüllten. Es faszinierte mich, machte es aber gleichzeitig schwierig, ein Gesamtbild zu erkennen und meinen Standort in der mir völlig unbekannten Gegend zu bestimmen. Es dauerte denn auch nicht lange, und schon war ich erneut vom Weg abgekommen. Der Pfad, auf dem ich ging, verlor sich in einer Wildnis aus Gräsern und niedrigem Gebüsch, und das Gelände fiel vor mir steil zu einer tiefen Schlucht ab. Da sah ich über mir am Gegenhang plötzlich unter den aufsteigenden Wolken eine Gruppe von weissen Häusern zum Vorschein kommen: Das musste Cáñar sein! Ganz nah schien es – aber die Schlucht trennte mich von ihm. Wohl oder übel musste ich umkehren und durch den prekären, rutschgefährdeten Steilhang wieder hinaufsteigen, auf dem ich hierher gelangt war, bis ich wieder auf eine GR7-Markierung stiess. Der wiedergefundene, spärlich markierte und zum Teil ausgesetzte Wanderweg führte mich nun in einem weiten Bogen hangaufwärts um das Einzugsgebiet des Río Sucio herum, des Flusses der eben entdeckten Schlucht; dabei galt es die Hangrinnen mehrerer Zuflüsse zu überqueren. Inzwischen drang die Sonne mehr und mehr durch, meine Regenkleidung verschwand im Rucksack. Als ich gegen vier Uhr in Cáñar ankam, war ich müde – und überzeugt, dass ich heute keinen Schritt mehr gehen würde.
Auf nach Soportújar!
Doch dann ruhte ich mich auf der Plaza an der Kirchenmauer aus, sah einigen Dorfbewohnern zu, wie sie am Dorfbrunnen verschiedene Flaschen und Kanister mit Wasser füllten, sinnierte über die örtliche Wasserversorgung, grüsste einen auf der andern Platzseite sitzenden Wanderer – den ersten, den ich heute sah – , und versuchte die Lage zu beurteilen. Dabei wurde mir die Abgeschiedenheit des Dorfes bewusst: Es mochte durch seine Exponiertheit am Berghang von weit her zu sehen sein, war aber für Autos nur durch eine Stichstrasse erschlossen, die sich in unendlich vielen Schlaufen aus der Tiefe den Berg herauf schlängelte. Andererseits war das nächste Hangdorf – Soportújar – nur noch zwei Wanderstunden entfernt und mit Autos von Pampaneira aus wesentlich einfacher zu erreichen. Und so kam es, dass ich mich aufraffte und ein weiteres Mal an diesem Tag auf eine andere Option einschwenkte.
Noch einmal schulterte ich also den Rucksack und machte mich auf den Weg, in östlicher Richtung aus Cáñar hinaus. Die Wolken hatten sich nun soweit verzogen, dass sich prächtige Aussichten über das tiefe Tal mit Órgiva zum Gebirgszug der Sierra de Lújar hinüber und rechts davon Richtung Meer boten – und vor mir auf der Gegenseite einer weiteren Furche sah ich auf Augenhöhe Soportújar als blendend weissen Fleck am grün-gelbbraunen Hang kleben. Es schien nur einen gemütlichen Spaziergang entfernt – aber wie schon vor Cáñar trügte der Schein: Man musste erneut zuerst ins Innere einer Hangfurche vorstossen und dann am Gegenhang zurückwandern. Die Rinne lag hier sogar noch tiefer im Berghang drin: Ganze 2,5 km weit ging es auf einem schmalen Pfad durch den Hang, mal ab- und dann wieder aufwärts, bis der von Bäumen gesäumte Río Chico erreicht wurde. Bei einem Damm – Dique 24 genannt – überquerte ich ihn. An dem von Kiefernwald bewachsenen Gegenhang kletterte der GR7 bis auf die Höhe von rund 1100 Metern und folgte dann flach dem Lauf einer schönen Wasserleite – der Acequía de la Vega – , bis Soportújar unter mir in Sicht kam. Auf einem steilen Betonweg stieg ich zu dem Dorf hinab und erreichte durch ebenso steile Gässchen und Treppen um sechs Uhr eine Plaza mit Aussichtsterrasse und einer Hexenskulptur. Die Aussicht über die frischgewaschene, ins goldene Licht der Abendsonne getauchte Berglandschaft war atemberaubend, im Südwesten war ein Streifen Mittelmeer zu erkennen.
Noch mehr Optionen
Bei der nahegelegenen Bar Romero wischte ich mit einem Taschentuch das Regenwasser von einem Stuhl, während sich ein Reisecar haarscharf an mir vorbeischob, bestellte ein Bier und rief in Pampaneira ein Taxi an. Kaum hatte ich das Telefonat beendet, boten mir zwei Frauen im Vorbeigehen ein Zimmer an, das sie zu vermieten hätten. Dankend erklärte ich, dass ich in Pampaneira etwas gebucht und soeben ein Taxi bestellt hätte. Da lachten sie mich ungläubig an: Ein Taxi? Wo doch gerade eben der Bus vorbeigekommen war?! – Ach so, begriff ich: Das eben war kein Reisecar, sondern der Bus nach Pampaneira gewesen! - Ich stellte fest: Der Optionen hätte es heute noch weitere gegeben – aber ich war froh, waren die wesentlichen Entscheide getroffen.
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