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Bälle vor und unter den Füssen

EHWS  Vogesen, Etappe  3: Le Baudy - Ballon d'Alsace

Ballon d'Alsace, Blick nach Osten.
Ballon d'Alsace, Blick nach Osten.

Es war schon mein dritter Tag im Gebiet des Naturparks «Ballons des Vosges», aber mit «Ballons» (zu Deutsch «Belchen», oder auch «Bälle») bekam ich es erst heute zu tun: Es stellten sich mir zwei der höchsten Berge der Südvogesen in den Weg. Bei erstmals sommerlichem Wetter wollte zuerst der Ballon de Servance erklommen werden, dann folgte der Ballon d’Alsace. Als Lohn wartete eine einzigartige Rundsicht über ein grosses Stück Mitteleuropa.

Bei Le Baudy.
Bei Le Baudy.

Von weitem sind die «Ballons» für Ortsunkundige wie mich kaum zu unterscheiden: Alle sind sie etwa gleich hoch, und auch ihre meist bewaldeten Formen sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Den Ballon d’Alsace oder «Elsässer Belchen» – mein Tagesziel – kann man an der halbkreisförmigen Waldlichtung auf seinem Gipfel erkennen – aber nur von Westen und Süden her. Eindeutiger identifizierbar ist der Ballon de Servance, weil von ihm eine Antenne in den Himmel ragt; sie war mir am Vortag immer wieder ein Orientierungszeichen am Horizont gewesen. Heute jedoch sollte ich beide Belchen lange Zeit nicht zu Gesicht bekommen, denn entweder war ich von Wald umringt, oder näher gelegene Erhebungen verdeckten sie.


Le Baudy - Ballon d'Alsace (Hôtel du Sommet)
Etappe EHWS Vogesen, Nr. 3
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Zeit 18,8 km / 6h10'
Auf- / Abwärts 907 m / 503 m
Höchster Punkt 1'247 m (Ballon d'Alsace)
Tiefster Punkt 651 m (ob Le Thillot)
Fernwanderwege GR7 (GR5)
Durchgeführt Samstag, 1. Juni 2019
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Morgenstille und erste Störungen

Das kümmerte mich freilich nicht, als ich um viertel vor neun von meiner stillen Unterkunft auf dem Plateau der tausend Teiche aufbrach. Straffblau spannte sich der Himmel über den Baumwipfeln, glatt und klar glänzten die dunklen Wasserspiegel in der Morgensonne, lebhaft quakten die Frösche. Auch das Gehen auf der Strasse D57, zu der von unten her schon bald wieder der Fernwanderweg GR7 stiess und der ich weiter nach Südosten folgte, tat der Ruhe vorerst keinen Abbruch, denn sie war auch an diesem Samstagmorgen nur schwach befahren. Ein erstes Mal auf Betriebsamkeit traf ich dann am Fuss eines Hügels mit Ruinen einer alten Festung: Ich wunderte mich über einen mit Autos vollgestellten Parkplatz und die vielen Leute, die sich trotz Absperrzaun zwischen den Bäumen tummelten.

(Hinterher fand ich bei Internetrecherchen heraus, dass es sich um das unter Kennern offenbar beliebte Airsoft-Gelände «Tête de l’Ours» oder «Baerenkopf» handelte.) Eine zweite etwas lärmigere Stelle folgte sogleich, da ich den Passübergang Col des Croix kreuzte. Hotel- und Restaurantbetrieb wie auf dem gestern gekreuzten Col du Mont de Fourche gab es hier zwar nicht: Ein als solches beschriftetes Gebäude machte den Anschein, schon lange ausser Betrieb zu sein. Doch wurde die kurvenreiche Passstrasse rege genutzt.

Ruhiges Fortschreiten...,

Bei den Kupferminen der Herzöge von Lothringen.
Bei den Kupferminen der Herzöge von Lothringen.

Ich befand mich da unweit des Ognon, eines über 200 Kilometer langen Nebenflusses der Saône, der unterhalb der Passhöhe beim Weiler Château-Lambert entspringt. Mit dem GR7 blieb ich aber auch heute meist entweder auf der Wasserscheide selbst oder dann auf deren Moselseite. Und weil ich frühzeitig auf dem Elsässer Belchen sein wollte, nachdem ich vergeblich versucht hatte, dort für die mit dem Auto anreisende Ruth und mich ein Hotelzimmer zu reservieren, gönnte ich mir keine Abstecher und Umwege. In einer langen Geraden zog sich der GR7 an der Nordflanke des Kamms abwärts, bis er mit einer T-Kreuzung in ein Strässchen mündete, das von links aus dem Moseltal heraufkommend dem Hang nach rechts weiter nach Südosten folgte, mit Balkonsicht auf Dörfer wie Le Thillot und Fresse-sur-Moselle. Am Zugang zu den alten Kupferminen «der Herzöge von Lothringen» vorbei (so wurden sie auf einer Orientierungstafel bezeichnet) tauchte ich wieder in den Wald ein, wo mich – abgesehen von gelegentlich aus dem Tal heraufdröhnendem Motorradlärm – wieder Stille aufnahm. Ein schöner Forstweg erlaubte für längere Zeit regelmässiges, ruhiges Fortschreiten. Bei der Schutzhütte von Longeligoutte waren durch die Bäume hindurch Häuser in der Tiefe zu erkennen; ich musste mich oberhalb von St-Maurice-sur-Moselle befinden, dem Ort, wo das Moseltal einen scharfen Knick nach Nordosten macht. Mein Weg krümmte sich dagegen noch ausgeprägter nach Süden und entfernte mich so von ihm. Ein Tal lag da zwar noch immer zu meiner Linken, aber es war nun das engere, kerbförmige und unbesiedelte des Nebenflusses Ruisseau de Presles.

... dann plötzliches Schwitzen

Erst nach einer weiteren Stunde Gehens auf dem bestens markierten Forstweg zweigte der GR7 auf einen Fusspfad ab, der den Hang ernsthaft attackierte. In stramm südlicher Richtung stieg dieser nun in einer geraden Linie entlang einer Hangfalte steil nach oben. Plötzlich war hartes und schweisstreibendes Arbeiten angesagt, ich fühlte mich gefordert. Umso froher war ich, als ich nach einer Stunde aus dem Wald auftauchte und mich auf einer flachen Lichtung ins Gras sinken lassen konnte: Es war das Gipfelplateau des Ballon de Servance. Dessen zentraler und höchster Bereich – und mit ihm auch die Antenne – ist militärisches Sperrgebiet, aber auch von dieser Stelle bot sich ein beeindruckendes Panorama: Zur Linken das grün wogende Vogesenmassiv mit seinem Hauptkamm – mit dem Fernglas erkannte ich den Grand Ballon, den Hohneck und andere Punkte, über die ich vor 12 Jahren auf dem Weg nach Amsterdam gewandert war – , zur Rechten in der Ferne der Jura, hinter dem sich Alpengipfel im Dunst abzeichneten, und direkt vor mir, auf der Gegenseite eines Sattels und auf Augenhöhe, erhob sich der zweite Ball des Tages, der Elsässer.

Ballon de Servance.
Ballon de Servance.

Die Aussicht teilte ich mit der einen oder anderen Bikergruppe, und auch einzelne Fussgänger gab es zu begrüssen, deren zum Teil nicht besonders sportliche Outfits einen nahegelegenen Parkplatz vermuten liessen. An picknickenden Grüppchen vorbei stieg ich südwärts durch einen Grashang hinunter und dann wieder im Wald weiter abwärts. Für ein kurzes Stück ging ich da auf der Saône-Seite der Wasserscheide, bis der Weg mit einem scharfen Knick um eine Ausbuchtung des Bergkamms herum bog und sich nach Nordosten wandte; von da ging es nahezu flach zum Col du Stalon, der einerseits die beiden Bälle und andererseits die Gewässer trennt. (An seiner Nordseite stürzt sich der Goutte du Stalon zum Ruisseau de Presles und mit diesem zur Moselle hinunter, im Süden entspringt unterhalb der Passhöhe der Rahin, ein Nebenfluss des Sâone-Zubringers Ognon.)

Welch ein Betrieb! Und welch eine Rundsicht!

Es folgte das letzte Steilstück, ein von runden Schottersteinen übersäter Weg, der sich geradlinig den Wald hinauf zog; bei feuchten Verhältnissen musste er glitschig und nicht ungefährlich sein. Dafür gewann ich rasch an Höhe zurück, was ich eben erst verloren hatte. Nach etwa einer Dreiviertelstunde vereinigte sich der GR7 mit einem andern Fernwanderweg (dem GR5, einem Altbekannten von mir), der von rechts einmündete, und kurz darauf erreichte ich die Passstrasse und erblickte den rundlichen Gipfel über mir. Wenn ich in der Stille des Waldes vergessen haben sollte, was Hochbetrieb ist – so wurde hier dafür gesorgt, dass ich es rasch wieder wusste: Auf der Strasse herrschte reger Auto- und Motorradverkehr, die Parkplätze waren ebenso voll besetzt wie die Terrassen der Restaurantbetriebe, von denen gleich mehrere – darunter das Hotel – die Strasse säumten, und den Weg zur Krete hinauf – das letzte Restchen GR7 – musste ich plötzlich mit Familien und andern Ausflüglergruppen teilen.

Ballon d'Alsace, Blick nach Süden.
Ballon d'Alsace, Blick nach Süden.

Oben auf der Westkante diente eine Jeanne d’Arc-Statue als Kulisse für Porträts und Selfies, und beim Gang über den breiten und nahezu flachen Kammweg zum Gipfel auf der Ostseite, von wo eine Marienstatue nach Belfort hinunterschaute, mischten sich Geprächsfetzen und Kinderrufe in das Geräusch meiner Schritte. Aber was für eine Rundsicht, die sich hier auftat – sie übertraf jene vom Ballon de Servance bei weitem! Sie reichte von den Rändern des Pariser Beckens und dem Moseltal im Westen über die Vogesen im Norden bis hin zum Schwarzwald und über die Weiten von Oberrheinischer Tiefebene  und Burgundischer Pforte - auch Basel war zu erkennen - bis zu den hinter dem Jura aufragenden Berner Alpen (unter denen ich etwa die Jungfrau identifizierte), um sich durch die Doubs-Saône-Senke hinab im fernen Süden zu verlieren.

Ich hatte Glück, als ich Punkt fünf im Hotel du Sommet eintraf: Es war genau noch ein Zimmer frei, und bald kam auch schon Ruth angefahren. Gemeinsam mit ihr nahm ich den Rundgang über diesen Ball am nächsten Morgen gleich nochmals unter die Füsse – dann aber in aller Ruhe, die der Ort, und wie ich meine: auch wir, verdienten.

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